Arbeiten von J. M.
Ich bin zurück in der Wirklichkeit!
Zu dieser Wirklichkeit gehört meine Vergangenheit – mein Erleben-Müssen von Gewalt, von jahrelanger sexueller Gewalt als ich ein Kind war. Ich kann meine Geschichte nicht ändern. Aber ich kann all die Erlebnisse heute benennen, selbst wenn es mir oft sehr schwerfällt.
Malen war ein Mittel, das Unsagbare zu zeigen. Die Sprache der Bilder war meine erste Form der Kommunikation mit mir selbst, die mit jedem Bild bewusster wurde. Ich begegnete mir selbst; psychischen und physischen Momentaufnahmen des eigenen Kind-Seins: meiner Hilflosigkeit, meiner Angst, meinen lautlosen Versuchen, sich mitzuteilen – Hilferufe, die niemand gehört hat. Oder nicht hören wollte? Ich weiß es nicht.
Lange hatte ich selbst keine Worte für das, was aus den Tiefen meines Bewusstseins langsam wieder hervortrat. Auf meinem Weg zurück in die Wirklichkeit war ich immer auf der Suche nach Verständnis, nach Verbündeten, nach Solidarität, nach stärkenden und hilfereichen Informationen – und auf der Suche nach der richtigen Therapeut:in, die mich versteht, die um alle Zusammenhänge weiß, was mit mir passiert ist, der ich vertraue… sowie sie mir vertrauen kann.
Auf diesem Weg habe ich erfahren: Es gibt viele Leerstellen, zu viele. Genau jetzt, in diesem Moment wird Kindern sexuelle Gewalt angetan. Deshalb gehe ich weiter. Mit mir gehen jetzt Verbündete und ich bin voller Hoffnung, dass wir viel Mut finden… in uns. Und dass wir Mut weitergeben können – ja, auch Mut zum Hinsehen. Handeln. Jetzt!
Sexuelle Gewalt zerstört sichtbar und unsichtbar.
Manchmal habe ich gedacht, alle sehen es doch – die Leute von nebenan, in der Schule, auf der Straße. Aber warum tut niemand etwas für mich? Bin ich nichts wert? Mach ich etwas falsch? Wer glaubt schon einem Kind. Davonlaufen, aber wohin?
Dann wird der Raum zum wirklichen Leben, zum Froh-Sein mit anderen immer kleiner – bis nichts mehr da ist. Alles zersplittert, in (An-)Teile, in verschiedene Ichs – die im Nirgends existieren. Die sexuellen Gewalterfahrungen zerstörten mein kindliches Ich-Sein, meine Identität – Muster des Überlebens, des Ausblenden, des Auslöschens der eigenen Gewalterfahrungen.
Dissoziative Identitätsstörung (früher multiple Persönlichkeitsstörung), so die psychiatrische Diagnose, die auch heute noch in ihrer Existenz von bestimmten Menschen (auch von Therapeut:innen) in Frage gestellt wird. Ebenfalls erfahren habe ich, dass noch weniger geglaubt wird, dass es ein gezieltes Erzeugen von Anteilen | von verschiedenen Persönlichkeiten gibt. Hinzu kommen die Mystifizierung und Falsch-Darstellungen in den Medien. Es ist nichts Niedliches daran, Innenkinder zu haben. Es ist auch nicht toll, was für einzelne Fähigkeiten verschiedene Anteile besitzen.
Diese Anteile sind in Momenten massivster Gewalt entstanden. In Menschen mit Dissoziativer Identitätsstörung herrscht oft unglaublicher Druck und Chaos. Dazu der unbedingte Wunsch nach außen hin davon nichts sichtbar werden zu lassen.
Wer Gewalt überlebt durch das Bilden von Persönlichkeitsanteilen braucht jede Form von Hilfe. Dafür ist es notwendig, dass Aufklärung erfolgt, dass Nicht-Betroffene bestimmte Wahrnehmungen im Alltag hinterfragen wie z.B.:
- Was können diese Geräusche bedeuten, die Sie vielleicht als Nachbar:in hören.
- Kann da was dran sein, was das Kind Erzieher:in oder Lehrer:in erzählt.
- Was passiert mit Kindern, die sexuelle Gewalt erfahren haben?
Es sind immer Fragen nach Verantwortung in Bezügen von Gemein- oder Kindeswohl:
Was geht es mich an… als nur Nachbar:in? Man hört, dass da etwas passiert – aber man sieht es nicht. So lange man nicht sieht, was da passiert, geht es einen nichts an … oder?
Mit meiner Geschichte – will ich jeder/jedem erzählen, was da passiert, um wachzurütteln und zu sagen: